Intensiver Starkregen (109 l/m² binnen zwei Stunden in Rudolstadt) sorgt in Teilen Thüringen für Sturzfluten, die sich durch Städte und Dörfer wälzen, Häuser und Grundstücke unter Wasser setzen, Straßen- und Bahnverkehr unterbrechen und für einen Großeinsatz von Feuerwehr und THW sorgen. Besonders schlimm traf es den Landkreis Saalfeld-Rudolstadt entlang des Rinnetals sowie Stadtteile von Rudolstadt. Am Abend stürzte zudem ein Kleinflugzeug ab, wobei 3 Menschen ums Leben kamen.
Die überschwemmte B88 in Rudolstadt am Samstagnachmittag (Bild: Markus Weggässer)
In 10 Minuten 24 Liter Regen auf den Quadratmeter ist äußerst beeindruckend. Während des gut zweistündigen Gewitters, dass sich an diesem Samstagnachmittag über dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt austobte, stürzten enorme Regenmengen in einem Streifen von Königsee, Bad Blankenburg bis nach Rudolstadt auf die Erde (Rudolstadt 109,4 l/m² in zwei Stunden!). Kleine Bäche in der Stadt, z.B. die Mörla oder die Schremsche wuchsen schnell zu rasenden Sturzbächen heran, überfluteten Straßen, Gebäude und Bahnstrecken. Die Rinne schwellte ebenfalls von Königsee beginnend sehr schnell an und bahnte sich ihren Weg in die Grundstücke und Häuser in Ober- und Unterköditz, Quittelsdorf, Watzdorf und Bad Blankenburg. Hunderte Helfer von Feuerwehr, THW, Bauhöfen und Anwohnern waren am Wochenende im Dauereinsatz, um die Schäden zu beseitigen.
Entwicklung und Verlauf des Gewitterkomplexes
Hinweis: Eine meteorologische Analyse der Schwergewitterlage finden Sie bei der Unwetterzentrale.
Radarbild links: Um 14:30 Uhr erscheint eine Gewitterzelle östlich von Suhl mit einem bereits starken (violette Farbe) bis sehr starken Kern (pinke Farbe), der sich retrograd (rückwärtsziehend) entwickelte. Radarbild rechts: Der Gewittercluster mit einem großen pinken Kern, was für höchste Intensität steht. Bildquelle: WetterOnline
Wie diese pinke Farbe am Erdboden zur Geltung kommt, zeigt das nachfolgende, beängstigende Video aus Bechstedt b. Allendorf:
Die "Schremsche" ist das was man sich unter einem kleinen Bach vorstellt: Schmal, im Normalfall knöchelhoch. Bedingt durch die Regenmengen, die während des Unwetters fielen, flossen die Wassermassen bereits von Zeigerheim kommend Richtung Tal. Die Schremsche war dabei selbst nicht mehr auszumachen (Berichten zufolge 25m breit). Unten angekommen, etwa in Höhe des Rudolstädter Kauflands, stauten sich die Wassermassen an einem Damm, der das Gewicht nach einiger Zeit nicht mehr halten konnte und brach. Diese Wasserwand ergoss sich binnen weniger Augenblicke auf den Kreuzungsbereich und überschwemmte ca. 20 - 30cm hoch die Bundesstraße, die daneben liegende ICE - Strecke und sammelte sich im Bereich zwischen Zugstrecke und Breitscheidstraße. Die dort liegenden Häuser und Garagenkomplexe wurden völlig überschwemmt.
Schadensüberblick Saalfeld-Rudolstadt:
Rudolstadt: Dammbruch im Bereich Volkstedt und Überflutung der B88, ICE-Bahnstrecke und mehreren Gebäuden und Grundstücken im Bereich Breitscheidstraße. Wasser und Schlamm mehrere Zentimeter hoch in der Schwarzburger Chausee. 1 m hoch stehen Wasser und Schlamm in den Katakomben des Erlebnisbades Saalemaxx.
Königsee: 4 Zimmer im Gymnasium nicht nutzbar, Keller der Grundschule vollgelaufen, zahlreiche Keller überschwemmt, B88 gesperrt. Hagelschäden an Dachrinnen und PKW.
Unterköditz/Oberköditz/Quittelsdorf: Überflutung des Christopherushofes (Wohnstätte für Schwerbehinderte): EG komplett überflutet, Evakuierung der Bewohner. Keller und Grundstücke mit Schlamm und Wasser voll gelaufen, B88 teilweise gesperrt.
Rottenbach: Vollgelaufene Keller, überschwemmte Straßen und ufernahe Gebiete. Gewerbegebiet überflutet, Autos bis zum Dach im Wasser.
Zeigerheim: Schlammlawine beschädigt ein Haus, Hagelschäden an Bäumen und Feldern.
Unterwellenborn: Werkstatt und Heizung in der Regelschule 70cm unter Wasser/Schlamm, Hangabrutsch an der B281 Höhe Abzweig Kleinkamsdorf.
Schadensüberblick restl. Thüringer Gebiete:
Saale-Orla-Kreis: In Döbritz muss eine Fußgängerbrücke über die Gamse abegrissen werden, nachdem bei einem Wasserstand von 2 Metern über Normal Baumstämme und Treibgut Schäden anrichteten. Der Dorfplatz wurde zudem überschwemmt. In Oelsen stand ein Gehöft unter Wasser, in Pößneck musste die B281 mehrfach wegen Hochwasser an verschiedenen Stellen gesperrt werden, neben Kellern lief auch eine Baugrube und ein Fahrstuhlschacht voll mit Wasser und Schlamm.
LK Sömmerda: Keller unter Wasser in Kölleda und Großbrembach. Schlammlawinen von Feldern in Großbrembach und zw. Beichlingen und Battgendorf.
Erfurt: Wasser drang in das Einkaufszentrum "TEC" ein, Blitzschläge an einer Bahnschranke in Stotternheim sowie einer Wasserskianlage am Nordstrand.
Ilm-Kreis: Blitzschlag in ein Wohnhaus in Langewiesen.
Kleinflugzeug stürzt in Waldgebiet bei Milbitz
Ein mit 4 Personen besetztes Kleinflugzeug stürzte am Abend in ein Waldstück nahe Milbitz bei Teichel. Was damals vermutet wurde, bestätigte 2012 die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) in Braunschweig: Der Pilot hat die Warnungen der Wetterdienste und des Flugplatzpersonals in Schöngleina, wo die Maschine abgestellt werden sollte, missachtet und flog mit dem für den Instrumentenflug untauglichem Flugzeug gen Südwesten. Nicht nur durch die ausregnenden Reste des abgezogenen Gewitterclusters war der Himmel bedeckt und die Sicht gemindert, sondern auch durch tiefen Nebel und der hohen Feuchtigkeit in der Grundschicht. In einem Waldstück bei Milbitz stürzte die Maschine ab. Der Pilot und ein Fluglehrer starben an der Unfallstelle, die Eltern des Pilotes wurden schwer verletzt, wobei an den schweren Verletzungen ein Elternteil im Krankenhaus starb. Aus dem Bericht der BFU geht hervor, dass einer der Piloten einen Anruf bekam, dass in sein Haus durch das Schwergewitter Wasser eindrang, worauf man sich anstatt mit dem Auto zu fahren doch für die vermeintlich schnellere Variante mit dem Flugzeug entschied.
Einsatzbericht: Von Wetterbesprechungen, Bockwürsten und dem Marathon
Der Autor des Berichts erlebte diesen Tag zudem aus einer zweiten Perspektive als ehrenamtliches Mitglied im Katastrophenschutz des Landkreises Saalfeld-Rudolstadt:
Am 01.06.2008 fand der 1. DRK Spendenmarathon in Saalfeld statt, zu dessen Vorbereitungen ich an besagtem Samstag anreiste um die Vorbereitungen auf der Festwiese am Weidig zu unterstützen. Die Hinfahrt konnte ich mit einem Chasing verbinden, denn der Cluster im Rudolstädter Raum war nahezu orstfest und verlagerte sich nur äußerst langsam nordwestwärts. Ich erhielt mehrfach Anrufe von Kameraden, was die weitere Wetterentwicklung im Kreisgebiet betraf. In Rudolstadt erwarteten mich bereits verschmutzte Straßen, überholten mich Feuerwehr und THW mit Blaulicht und Horn. Die B88 zwischen Abzweig Krankenhaus und Abzweig Volkstedt war wegen der Wasser- und Schlammmassen nicht befahrbar, sodass ich gezwungen war, einen kleinen Umweg durch das Wohngebiet zu nehmen, mit dem Vorteil von einer Brücke aus auf das Schadensgebiet schauen zu können. Ich stellte das Auto ab und sichtete die erheblichen Schäden in diesem Bereich, wo bereits zahlreiche Feuerwehr- und THW-Einsatzkräfte eifrig arbeiteten.
Ich fuhr die B88 bis Königsee um die Schäden zu begutachten und traf in Oberköditz auf meinem im Einsatz befindlichen Co-Admin, der zu dieser Zeit im THW OV Rudolstadt-Saalfeld als einer der Einsatzleiter an diesem Tag fungierte. Wir führten vor Ort eine kurze Wetterbesprechung durch über den aktuellen Stand und der Entwicklung in den kommenden Stunden sowie welchen Stand die Pegel im Landkreis haben. Nach diesem Treffen fuhr ich wieder in Richtung Saalfeld, als mein Funkmeldeempfänger auslöste, während ich gerade unter Sirenengeheul durch Bad Blankenburg fuhr. Zu einem Flugzeugabsturz alarmierte die Leitstelle Saalfeld mehrere Rettungswagen, ein Notarzteinsatzfahrzeug, diverse Feuerwehren (die sich größtenteils im "Hochwasser-Einsatz" befanden) sowie das THW und die Katastrophenschutzeinheiten des Landkreises. Aus dem benachbarten LK Weimarer Land wurde aus Blankenhain ein weiteres Notarzteinsatzfahrzeug angefordert, Rettungshubschrauber konnten aufgrund der Witterungsverhältnisse nicht starten.
Als ich im Depot ankam, waren unsere Fahrzeuge bereits abgerückt, sodass ich mich der Betreuungsgruppe 2 angeschlossen habe und auf dem Weidig beim Aufbau des Feldkochherdes und des Zeltes aushalf. Vor Ort musste dann die Verpflegung für die im Einsatz befindlichen Kräfte in Rudolstadt organisiert werden. Mehrere Feuerwehren waren damit beschäftigt, das DRK-Gebäude in der Breitscheidstraße von Wasser und Schlamm zu befreien. Die Einsatzkräfte waren bereits seit Stunden ohne Verpflegung im Einsatz und bekamen im Verlauf -im Pendelverkehr zw. Saalfeld und Rudolstadt- Bockwürste zur kurzen Stärkung. Nach der letzten "Fuhre" -es war bereits der 01.06.- konnte ich gegen 02:00 Uhr ins Bett um kurz nach 07:00 Uhr wieder aufzustehen um die letzten Vorbereitungen für den Spendenmarathon zu treffen, der am 01.06. bei bestem Sommerwetter stattfand. Die Nacht lag uns allen noch in den Knochen, anschließend begutachtete ich noch einmal die Schäden in Rudolstadt - ein ereignisreiches Wochenende.